Beitrag von Matthias Zobrist, 6. Dezember 2023
Knapp 17 Prozent der Schweizer Bevölkerung leidet an einer oder mehreren psychischen Erkrankungen. Wie macht sich das Thema der psychischen Gesundheit bei der Arbeit von Artisana bemerkbar?
Desirée Stocker: Wir sind aufgrund unserer Wurzeln in Bau, Gewerbe und Produktion vielfach mit KMU im Austausch, die einen hohen Level und hohe Standards im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aufweisen. Bei der körperlichen Gesundheit ist meist sehr klar, was zum Schutz oder bei Vorfällen zu tun ist. Bei der psychischen Gesundheit gibt es hingegen viel mehr Unschärfe und deshalb mehr Bedarf nach Information und Austausch. Zudem gibt es nach wie vor gewisse Hemmungen, Themen der psychischen Gesundheit anzusprechen. Aber auch Baumeister, Floristinnen, Automechaniker, Malerinnen, Sanitärinstallateure oder Gärtnerinnen sind nicht vor psychischen Erkrankungen gefeit. Diskussionen über Schutzfaktoren und Frühinterventionen im Bereich psychische Gesundheit sind deshalb omnipräsent bei uns.
Welche grundlegenden Dinge kann ein Arbeitgeber leisten, um die psychische Gesundheit seiner Mitarbeitenden zu erhalten und zu fördern?
Uns ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Betriebe dafür nicht spezifische Sonderprojekte durchführen müssen. Es geht darum, die Haltung, dass «psychische Gesundheit wichtig ist», in die ganz normalen Betriebsprozesse zu integrieren. Zum Beispiel hilft es, bei der Arbeitsorganisation darauf zu achten, dass Mitarbeitende weder zu stark unter- noch überfordert sind, sondern vielmehr ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst optimal einsetzen können. Auch ein gutes Betriebs- und Teamklima sind wichtige Ressourcen. Dafür braucht es Zeit, zum Beispiel für gemeinsame Pausen oder zwischendurch auch für Team-Anlässe ausserhalb des Arbeitssettings. Schliesslich ist die Art und Weise der Führung natürlich wichtig. Wenn Führungskräfte nahbar sind, echtes Interesse am Gegenüber haben und selber auch darüber reden, wenn es ihnen mal nicht so gut geht oder sie einen Fehler gemacht haben, dann ist dies der beste Türöffner für eine offene Kommunikation. Kürzlich hat mir der Chef einer Baufirma gesagt: «Wirklich stark sind diejenigen, die über ihre Schwächen reden».
Wie kann die Artisana Arbeitgeber dabei konkret unterstützen?
Die Artisana versteht sich als Sparring-Partnerin für KMU, um die gemeinsame Reflexion über Schutzfaktoren für die Gesundheit allgemein und die psychische Gesundheit im Besonderen zu fördern. Dabei sind wir in vier Bereichen aktiv. Erstens informieren und sensibilisieren wir auf unserer Website mit Porträts von Mitarbeitenden und Betrieben, auf welche Weise Betriebliche Gesundheit konkret gelebt werden kann. Weiter bieten wir für KMU kostenlose Erstinformation, Standortbestimmung und Vernetzung an. Haben Betriebsverantwortliche oder Mitarbeitende ein Problem oder ein Thema, das sie angehen wollen, können sie sich bei uns melden. Wir geben erste praktische Tipps und vernetzen sie für eine vertiefte Auseinandersetzung mit weiteren Fachpersonen. Zudem fördern wir den Austausch zwischen KMU-Verantwortlichen und Fachpersonen, beispielsweise mit Hilfe von kostenlosen Online-KMU-Talks. Drittens finanzieren wir innovative Projekte oder Studien im Bereich Betriebliche Gesundheit. Und viertens verleihen wir jährlich den mit CHF 10 000 dotierten Gesundheitsförderpreis Artisana Award an ein Unternehmen, dessen Aktivitäten im Bereich der Betrieblichen Gesundheit Vorbildcharakter hat und auf Nachhaltigkeit setzt. Dieses Jahr ging der Preis an eine Urner Baufirma, die sich insbesondere auch im Bereich psychische Gesundheit engagiert. Letztes Jahr war die Berner Traditionsfirma Reinhard AG – Bäckerei, Konditorei und Café die Preisträgerin.
Welche Berührungspunkte gibt es zwischen Artisana und der IV?
Kurz und knapp gesagt vielleicht in der Grundhaltung, dass Erwerbsarbeit – sofern sie unter gesundheitsförderlichen Bedingungen erbracht werden kann – der beste Schutz für die psychische Gesundheit von Menschen ist. Heutzutage besteht die Gefahr, dass vor lauter «Warnungen vor Stress und Belastung am Arbeitsplatz» vergessen geht, die Aufmerksamkeit auf die positiven Faktoren von Arbeit zu legen. Menschen wollen ihre Fähigkeiten einbringen können, geschätzt werden für ihr Engagement, einen Platz in der Gesellschaft haben, eine sinnvolle Tagesstruktur haben und sozial in einem Team eingebunden sein. Es ist uns ein grosses Anliegen, einen solchen positiven Ansatz bei der Sicht auf Arbeit und allfälligen Optimierungspotenzialen bezüglich Prävention und Stärkung der psychischen Gesundheit zu verfolgen. Seit dem Paradigmenwechsel vor 15 Jahren unter dem Motto «Eingliederung vor Rente» erhalten auch bei der IV immer mehr versicherte Personen Leistungen im Bereich Frühintervention und Eingliederung anstatt IV-Renten. Am besten funktionieren Problemlösungen durch eine gute Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren wie Arbeitgeber, IV, Ärzteschaft und der betroffenen Person. Auch wir wollen den Dialog und die konstruktive Lösungssuche fördern.